Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
dieses Jahr war von enormen Umwälzungen geprägt: Die Spätfolgen der Corona-Pandemie, der andauernde Krieg gegen die Ukraine und die dadurch ausgelösten Preisschocks bei Energie und Nahrungsmitteln sind wesentliche Ursachen für die in vielen Regionen der Welt angespannte wirtschaftliche Lage. Auch viele deutsche Unternehmen mussten diesen enormen Herausforderungen kurzfristig begegnen und prüfen nun auch, sich langfristig neu aufzustellen.
Was gilt es also zu tun? In dieser Ausgabe widmen wir uns dem veränderten globalen Umfeld und analysieren, worauf sich deutsche Unternehmen im Ausland einstellen müssen. Dabei werfen wir einen Blick auf Zukunftsmärkte und -branchen, die bei der Suche nach alternativen Standorten und Geschäftsmöglichkeiten an Bedeutung gewinnen. Im Interview berichten unsere German Desk Manager aus Nigeria, Kenia und Indonesien, wie sich die aktuelle globale Situation in ihren Zielländern auswirkt und in welchen Bereichen deutsche Unternehmen jetzt gefragt sind. Außerdem blicken wir auf dynamische Märkte in Südostasien. Dort werben die ASEAN-Länder mit zukunftsträchtigen Investitions- und Geschäftsmöglichkeiten jenseits von China verstärkt um ausländische Investoren.
Wir wünschen eine interessante Lektüre. Mit herzlichen Grüßen
Ihr Klaus Helsper Abteilungsleiter Deutsche Wirtschaft
Schwerpunkt
Neue Märkte: Wie deutsche Unternehmen Lieferketten und Absatzmärkte weiter diversifizieren können
Hohe Inflation sowie steigende Preise für Nahrung und Energie als Folgen von Russlands Krieg in der Ukraine belasten derzeit zahlreiche Volkswirtschaften weltweit. Hinzu kommen neue geopolitische Unsicherheiten sowie die Herausforderungen zur Bewältigung des Klimawandels.
Für die deutsche Industrie mit ihrem hohen Exportgeschäft sind die aktuellen globalen Herausforderungen besonders relevant. Laut Angaben von Germany Trade & Invest (GTAI) betrug die Außenhandelsquote Deutschlands, also der Anteil der Im- und Exporte am Bruttoinlandsprodukt, 2020 fast 70 %. Deutschland belegt Rang 3 der größten Exportnationen, wobei der Großteil der Exporte in die USA und nach China geht.
China bietet deutschen Unternehmen nach wie vor sehr gute Wachstumschancen, aber ihre Abhängigkeiten von den dortigen Entwicklungen sind hoch. So könnten die anhaltende Null-Covid-Politik Chinas, das abflauende Wirtschaftswachstum und politische Unsicherheit die Aktivitäten deutscher Unternehmen dort zunehmend einschränken. Auf der Suche nach alternativen Standorten und Geschäftsmöglichkeiten werden Märkte in bisher weniger beachteten Ländern in den Blick genommen.
Zukunftsmärkte: ASEAN-5 und Subsahara-Afrika
In den Fokus geraten dabei etwa die Märkte in asiatischen sowie afrikanischen Entwicklungs- und Schwellenländern. Sie bieten nicht nur alternative Exportziele, sondern sind auch potenzielle Produktionsstandorte für den Aufbau neuer Liefer- und Wertschöpfungsketten.
Die wirtschaftlichen Prognosen sind gut. Laut Internationalem Währungsfonds (IMF) wird das Bruttoinlandsprodukt 2023 in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern erneut deutlich stärker wachsen als im globalen Durchschnitt (siehe Infografik). Besonders hoch ist der Zuwachs in den ASEAN-5-Ländern – Indonesien, Malaysia, Philippinen, Thailand, Vietnam – und in Teilen Subsahara-Afrikas. Bereits zwischen 2000 und 2020 legte der Anteil der Region Asien-Pazifik laut GTAI an den gesamten deutschen Ausfuhren um 6,3 % zu, sie war damit zweitstärkste Region nach Mittel- und Osteuropa.
Die wirtschaftliche Entwicklung an solchen Standorten wird durch hohes Bevölkerungswachstum, steigende staatliche Investitionen und eine wachsende Mittelschicht gestärkt. In Afrika gewinnen insbesondere die nordafrikanischen Länder der MENA-Region für das „Nearshoring“ an Attraktivität. So ist Tunesien wichtiger Zulieferer für die Kfz-Industrie und zunehmend als Standort für Softwareunternehmen gefragt. Pluspunkte sind das hohe Bildungsniveau, wettbewerbsfähige Löhne und eine relativ gute Infrastruktur.
Um sich resilienter aufzustellen, könnten deutsche Unternehmen von einer stärkeren Diversifizierung ihrer Exportmärkte und Zulieferer profitieren. Zudem sind beim Aufbau von Produktionsstandorten in verschiedenen Sektoren technologische Innovationen deutscher Unternehmen gefragt. Laut World Investment Report der UNCTAD waren 2021 die meisten SDG-relevanten „greenfield“-Direktinvestitionen in Afrika und Asien für die Sektoren Erneuerbare Energie, Telekommunikation, Transport und Nahrungsmittel angekündigt. Experten und Expertinnen der DEG sehen darüber hinaus große Investitionschancen in den Bereichen Landwirtschaft, Medizintechnik und Digitalisierung (siehe Interview).
Zukunftsbranchen: Erneuerbare Energien, Gesundheitswirtschaft und digitale Angebote
Laut Daten der OECD und der Internationalen Energieagentur IEA decken erneuerbare Energien bereits jetzt zu einem Großteil den steigenden Stromverbrauch in Schwellen- und Entwicklungsländern. Hier entstehen auch für deutsche Unternehmen weitere Investitionschancen. So bieten Marokko und Namibia großes Potenzial für Sonnen- und Windenergie und deutschen Unternehmen Chancen für die Produktion etwa von grünem Wasserstoff. In Namibia fördert das BMBF ab Anfang 2023 vier deutsch-namibische Wasserstoff-Projekte.
Ein weiterer Sektor mit Potenzial ist die Gesundheitswirtschaft. Hier sind zum Beispiel Ausstattung für Krankenhäuser, Impfstoffe und Medikamente sowie Medizintechnik gefragt. Markttreiber in Entwicklungs- und Schwellenländern ist eine schnell wachsende Mittelschicht, die auf private medizinische Versorgung setzen. Dazu zählen zum Beispiel Diagnose und Behandlung von chronischen Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dabei kommen Technologien wie Telemedizin oder Virtual Surgery Intelligence (VCI) zum Einsatz.
Eine weitere Zukunftsbranche ist die Digital Economy. In etlichen Entwicklungs- und Schwellenländern werden digitale Lösungen bereits heute breit eingesetzt und genutzt. Mit Hilfe digitaler Technologien entstehen seit über einem Jahrzehnt neue Geschäftsmodelle, zum Beispiel mobile Zahlungslösungen und weitere Digital-Finance-Produkte, etwa für Kredite. Zudem sind digitale Logistikdienstleistungen und E-Commerce-Angebote gefragt.
Diese Beispiele zeigen, dass es sich für deutsche Unternehmen lohnen kann, neue Wachstumsmärkte in den Fokus zu nehmen und die Digitalisierung ihrer Angebote stärker voranzutreiben. Wer diese Chancen nutzt, könnte im Wettbewerb perspektivisch besser bestehen.
Infografik
Wachstum in Entwicklungs- und Schwellenländern bleibt überdurchschnittlich
Laut Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IMF) wird das Bruttoinlandsprodukt weltweit 2023 um 2,7 % wachsen. In den ASEAN-5 soll das BIP durchschnittlich um 4,9 %, in Subsahara-Afrika um 3,7 % und in Lateinamerika/Karibik um 1,7 % steigen.
Vietnam
6,2 %
Indien
6,1 %
Kenia
5,1 %
Subsahara-Afrika
3,7 %
Nigeria
3 %
Peru
2,6 %
ASEAN-5*
4,9 %
*Indonesien, Malaysia, Philippinen, Thailand, Vietnam.
Quelle: Internationaler Währungsfonds (IMF), World Economic Outlook, Oktober 2022
Interview
Multiple Krisen verschärfen den globalen Wettbewerb: Hierauf müssen sich deutsche Unternehmen im Ausland einstellen
Durch die global steigende Inflation, Überschuldung von Ländern sowie Preisschocks bei Nahrung und Energie erleben auch viele international tätige deutsche Unternehmen gerade eine schwierige Situation. Das beschäftigt auch die Manager der German Desks der DEG, die mittelständische deutsche Unternehmen und ihre lokalen Handelspartner beraten und Finanzierungslösungen arrangieren.
Im Gespräch mit (v. l. n. r.) Sebastian Barroso da Fonseca (Nigeria), Sophie Kaminski (Kenia) und Volker Bromund (Indonesien) beleuchten wir, wie sich die globalen Herausforderungen in diesen Märkten auswirken und wie deutsche Unternehmen sich dort zukunftssicher aufstellen können.
Welche unmittelbaren Folgen hat die global angespannte Situation für die deutschen Außenwirtschaftsbeziehungen in Ihren Zielländern?
Sophie Kaminski: In Kenia sind wir unmittelbar von Preissteigerungen und insbesondre von erhöhten Frachtkosten betroffen. Derzeit gibt es Prognosen für ein Wirtschaftswachstum in 2023 von rund 5 %, was an sich nicht schlecht klingt. Aber für ein Entwicklungsland wie Kenia mit einem jährlichen Bevölkerungswachstum von mehreren Millionen Menschen ist das nicht genug. Hinzu kommen eine Inflation der Lebensmittelkosten und eine Präsidentschaftswahl in diesem Jahr, die – Gott sei Dank! – ruhig verlief. Der neue Präsident William Ruto ist relativ wirtschaftsorientiert. Allerdings sind jetzt die Subventionen für Benzin genauso wie für das Grundnahrungsmittel Maismehl ausgelaufen. Das wird sich weiter auf die Inflation auswirken und Schwierigkeiten für den Konsum und die Konjunktur auslösen.
Volker Bromund: Bei Indonesien kann man sagen, es gibt ein lachendes und ein weinendes Auge. Das lachende Auge: Die Chancen sind da. Das Land hat sehr viele Rohstoffe, wie Kupfer, Nickel, Gold und Kohle. Viel davon geht in den Export. Diese Branchen profitieren natürlich extrem von den stark gestiegenen Rohstoffpreisen. Aber durch die hohen Energiepreise ist die Inflation in Indonesien angekommen. Zwar ist das Land Mitglied der OPEC und produziert 900.000 Barrel Öl pro Tag sowie sehr viel Gas. Jedoch verbraucht das Land auch mehr Öl, als es produziert, und muss raffinierte Produkte einführen. Da schlägt natürlich die Inflation voll zu. Im September hat Indonesien die Preise für Benzin – der Markt wird quasi von einem staatlichen Monopol kontrolliert – um 30 % erhöht. Es gibt gegen die Preissteigerung bei Lebensmitteln und Energie inzwischen auch Massenproteste. Daher erwarte ich schwierige Zeiten.
Viele Schwellen- und Entwicklungsländer haben sich gerade von den Folgen der Corona-Pandemie erholt. Wie stark sind Ihre Zielländer nun von einem Rückfall in eine Rezession gefährdet?
Sebastian Barroso da Fonseca: Inflation war in Afrika schon immer ein Thema, aber das gilt jetzt natürlich umso mehr. In Nigeria hatten wir in den letzten Monaten eine Inflation von 19,81 % – Tendenz steigend. Das Land ist aber vor allem sehr stark von Währungsreserven abhängig. Während der Covid-Krise haben viele Investoren in Nigeria investiert und ihr Auslandsportfolio ausgebaut. Jetzt erleben wir aber, dass diese Gelder sukzessive abgezogen werden, weil in Ländern wie den USA die Zinssätze wieder attraktiver werden und das Risiko dort geringer ist. Das bedeutet, dass viele Firmen vor Ort weniger Zugang zu Fremdwährungen bekommen.
Sophie Kaminski: In Kenia haben wir definitiv eine ähnliche Situation. Ersatzinvestitionen werden immer schwieriger. Das liegt auch an einem steigenden Handelsdefizit – Kenia importiert ungefähr doppelt so viel, wie es ausführt. Exportiert werden hauptsächlich Roh- oder leicht verarbeitete Produkte aus dem Landwirtschaftsbereich. Mit den steigenden Frachtkosten wird es immer schwieriger, diese auf dem Weltmarkt zu platzieren. Gleichzeitig kommt einfach nicht genug Fremdwährung rein, sodass wir uns die teuren Importe für Maschinen und Anlagen nicht mehr leisten können. Der kenianische Schilling hat im Vergleich zum US-Dollar, der extrem wichtig für die lokale Wirtschaft ist, an Wert verloren.
Auch in Deutschland leidet die Wirtschaft unter hohen Energiepreisen. Laut einer Umfrage des BDI denkt rund ein Fünftel der deutschen industriellen mittelständischen Unternehmen darüber nach, die Produktion ins Ausland zu verlegen. Sind Entwicklungs- und Schwellenländer attraktive Alternativen?
Volker Bromund: Auch in Asien sind die meisten Länder abhängig von Energieimporten. Eine Verlagerung der Produktionen aus Europa heraus ist auf Grund der Transportkosten also eher unwahrscheinlich. Was man aber klar sieht, ist eine Produktionsdiversifizierung von China in die umliegenden Länder. Man will sich weniger abhängig von China machen. Zusätzliche Produktionskapazitäten werden also nicht mehr dort aufgebaut, sondern in bestimmten anderen südostasiatischen Staaten. Davon profitieren zum Beispiel Vietnam und auch Thailand sehr stark.
Sebastian Barroso da Fonseca: Auch in jedem afrikanischen Land gibt es hierzu ganz unterschiedliche Vorgehensweisen. In manchen Ländern versucht man, Investoren und Produktionsstätten ins Land zu bringen. Auf der anderen Seite erleben wir aber auch, dass nach der Corona-Pandemie Staaten versuchen, unabhängiger zu sein und sich zu diversifizieren. Siemens zum Beispiel hat jetzt mehrere große Energieprojekte in Nigeria gewinnen können. Aber diese laufen nur langsam an und es wird manchen Initiativen immer wieder kurzfristig ein Riegel vorgeschoben. Dennoch ist Wasserkraft in Nigeria ein großes Thema, das auch für deutsche Akteure sehr interessant ist. Die nigerianische Botschaft in Berlin knüpft hierzu intensive Kontakte. Aber entschieden wird in diesem Jahr in Nigeria wohl nichts: Erst nach den Wahlen im kommenden Februar wird man sehen, was in diesem Bereich konkret passiert.
Welche Unterstützung erfahren deutsche Unternehmen, die sich in Nigeria oder Kenia engagieren, und wo ist Deutschland besonders gut aufgestellt?
Sebastian Barroso da Fonseca: Im Finanzsektor spielt die DEG mit ihrem Standort in Nigeria eine wesentliche Rolle. Auch die KfW IPEX finanziert in dem Land viele Infrastrukturprojekte, wie zum Beispiel Schieneninfrastruktur, die die Verbindung zwischen dem Süden und Norden Nigerias sicherstellt. Und auch seitens der deutschen Politik sehe ich großes Interesse an Nigeria. Das Land ist die größte Volkswirtschaft Afrikas mit einer Bevölkerung von 200 Millionen Menschen, die sich in den nächsten 30 Jahren verdoppeln wird. Das ist natürlich ein Riesenpotenzial. Aber diese Entwicklung braucht Zeit.
Sophie Kaminski: Ich finde es sehr interessant, Sebastian zuzuhören, weil Nigeria so anders aufgestellt ist als Kenia. Wir haben aktuell tatsächlich noch kein Problem mit steigenden Energiepreisen, weil gut 90 % der Energie des Landes aus lokalen, erneuerbaren Quellen kommt. Wasserkraft und Geothermie spielen in Kenia eine große Rolle. In diesem Bereich sind wir ein Vorbild für den Kontinent, aber definitiv auch für Deutschland.
Die Chancen für deutsche Unternehmen in Kenia liegen vor allem in der Digitalisierung und IT. Kenia wird oft – ein bisschen romantisch – als „Silicon Savannah“ bezeichnet und ein paar deutsche Unternehmen haben bereits ihre IT-Dienstleistung nach Ostafrika verlegt. Eine Verlagerung von produzierenden Unternehmen sehe ich auch nicht, aber es gibt dennoch gute Chancen. Hervorzuheben ist, dass der neue Präsident Ruto nach seiner Inauguration die deutsche Bundesregierung, vertreten durch Ex-Bundespräsident Christian Wulff und den deutschen Botschafter, als Erstes empfangen hat. Das zeigt sicher auch, wie wichtig die Beziehung zwischen beiden Ländern ist. Konkret ging es dabei um das deutsche duale Ausbildungssystem und wie man es vor Ort aufbauen kann. Es findet also viel Austausch auf Augenhöhe statt, damit beide Länder voneinander lernen und miteinander wachsen können.
Auch Indonesien ist ein riesiger Markt mit 270 Millionen Einwohnern. Welche Chancen sehen Sie für deutsche Unternehmen, sich trotz der aktuell schwierigen Situation langfristig in solchen Zukunftsmärkten aufzustellen, Herr Bromund?
Volker Bromund: Ich beobachte in den letzten 20 Jahren, dass sich das Engagement deutscher Firmen rein auf den Vertrieb und technischen Support für Maschinen beschränkt. Indonesien hat eine große Binnenkonjunktur. Das ist auch die treibende Kraft für die wirtschaftliche Entwicklung. Hier haben deutsche Mittelständler durchaus Chancen, da sehr viele Spezialprodukte verkauft werden. Aber man muss auch im Auge behalten, dass Indonesien von regionalen Wirtschaftsnationen wie Japan, Korea, Taiwan und hauptsächlich China dominiert wird. Diese investieren und produzieren auch in Indonesien. Es kommen auch sehr viele Produkte aus Indien ins Land.
Wenn deutsche Unternehmen, wie vereinzelt in der Autoindustrie, in Indonesien produzieren, dann tun sie das hauptsächlich für den lokalen Markt. Produkte aus Europa und Deutschland sind als hochpreisig bekannt und doch geschätzt. Aber die Anforderungen an Maschinen und Güter in Europa sind ganz andere als in Asien. Oft werden anstelle von deutschen Werkzeugmaschinen lieber einfachere chinesische Konkurrenzprodukte gekauft, die zwar weniger langlebig und vielseitig, aber auch um ein Vielfaches günstiger sind. Auch vom aktuellen Rohstoff-Boom können deutsche Unternehmen nur bedingt profitieren, da Deutschland zum Beispiel kaum Maschinen produziert, die im Bergbau oder der Öl- und Gasförderung eingesetzt werden.
Jenseits der Krisen, welche interessanten Entwicklungen erleben Sie gerade, auf die sich die deutschen Außenwirtschaftsbeziehungen einstellen sollten?
Sebastian Barroso da Fonseca: Ein großer Sektor mit Zukunftspotenzial ist die Medizintechnik und der Zugang zu medizinischer Infrastruktur und Hospitalen. Das ist eine direkte Folge der Pandemie. Nach meinem Eindruck haben gerade Besserverdienende gemerkt, dass es bessere lokale Infrastruktur braucht. Firmen wie B.Braun, Dräger und Fresenius sind jetzt in Afrika gefragt und erleben dort ein sehr starkes Wachstum.
Außerdem ist in Nigeria die Landwirtschaft nach wie vor ein wichtiger Zukunftssektor. Die Entwicklungsbanken incentivieren die Beschaffung von landwirtschaftlichen Maschinen in diesem Sektor durch niedrige Zinsen auf Kredite, die über die lokalen Banken weitergegeben werden. Das Land will seine Produktion ausbauen, um die Wirtschaft weiter zu diversifizieren, und setzt dabei auf Kakao, Cashewnüsse und Reis, die auch auf dem Weltmarkt verkauft werden sollen.
Sophie Kaminski: Auch in Kenia bergen die Bereiche Lebensmittelherstellung und -verarbeitung große Chancen. Wir hatten in den letzten Jahren immer wieder mit Dürren zu kämpfen. Ich komme zum Beispiel gerade aus einem langen kenianischen Winter, der grau, aber trocken war. Daher gibt es eine große Nachfrage danach, Nutzpflanzen resilienter zu machen. Düngemittel und auch die Mechanisierung der Landwirtschaft werden genutzt, um die Erträge effizienter zu machen. Auch Verpackungsanlagen aus Deutschland sind besonders gefragt. Aber auch diese stehen in direkter Konkurrenz zu den ostasiatischen Modellen. Deutsche Unternehmen haben aber das Potenzial, sich mit ihren innovativen Lösungen und unterstützenden Zahlungsmodalitäten in diesen Zukunftsmärkten durchzusetzen.
Volker Bromund: Ich würde den Fokus für deutsche Unternehmer und den Mittelstand auf einen ganz anderen Bereich legen, nämlich die Digital Economy. Indonesien und andere asiatische Staaten sind sehr technikaffin. Wir haben wahrscheinlich neben Afrika weltweit die höchste Handydichte. Es gibt inzwischen vier Unicorns, die sich lokal etabliert haben. Alles im Bereich Digitalisierung – nicht nur Paymentsysteme, sondern auch Versicherungen, der Fin-Tech-Bereich und die Logistikbranche – erlebt seit Jahren große Wachstumsraten. Und hier bestehen natürlich auch Chancen für deutsche Unternehmen, die dort Technologien und Dienstleistungen bereitstellen können. Zwar produzieren wir keine Handys und sind auch im Medienbereich nicht so stark aufgestellt. Dennoch unterstützen viele deutsche Unternehmen diese Entwicklung auch mit manchmal nicht besonders sichtbaren Technologien. Hinzu kommt noch das Thema E-Mobilität. Im Großraum Jakarta wohnen 25 Millionen Menschen. Die Luftverschmutzung ist sehr stark, so wie auch in Bangkok und anderen Städten der Region. Da geht die Tendenz natürlich hin zur E-Mobilität. Auch hier produziert Deutschland vielleicht nicht die E-Scooter selbst, aber wir liefern zum Teil die Informations- und Unterstützungstechnologien, die hinter den E-Mobilitäts-Systemen stecken. Dort sehe ich sehr, sehr große Wachstumschancen.
Länderbeispiele
Asiatische Alternativen: dynamische Märkte in Südostasien
Rund 175 Mrd. US-Dollar ausländische Direktinvestitionen (FDI) flossen 2021 laut World Investment Report der UNCTAD in die ASEAN-5-Länder Indonesien, Malaysia, Philippinen, Thailand und Vietnam. Das ist gegenüber den FDI von 2016 eine Steigerung um knapp 55 %. Der Internationale Währungsfonds prognostiziert der Region für 2022 eine durchschnittliche Wachstumsrate von 5,3 % und für 2023 4,4 %. Damit wächst sie 2022 deutlich stärker als etwa China (3,2 %).
Für deutsche Unternehmen, die auf der Suche nach Alternativen zum Standort China sind, bieten die ASEAN-5 Länder interessante Perspektiven. Denn auch in diesen Teilen Asiens sind neue, attraktive Investitions- und Geschäftsmöglichkeiten entstanden.
So wird das exportorientierte Vietnam mit seiner jungen Bevölkerung (43 % der Vietnamesen sind unter 24 Jahre alt) und einer wachsenden Mittelschicht als Consumer-Markt und Handelspartner für Deutschland immer wichtiger. Im August 2020 trat ein Freihandelsabkommen mit der EU in Kraft, womit Zölle auf EU-Exportwaren wie Arzneimittel, Chemikalien oder Maschinen entfallen. Die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen im Land sind relativ stabil. Vietnam punktet weiterhin bei der arbeitsintensiven Fertigung, hat aber in den letzten Jahren auch erhebliche Fortschritte beim Ausbau von Infrastruktur und Industrialisierung gemacht.
Anlässlich einer Delegationsreise des Ostasiatischen Vereins waren im November DEG und deutsche Unternehmen beim Ministry of Planning and Investments in Hanoi zu Gast.
„Das Potenzial in dem Land ist sehr gut und auch wenn das politische System dem chinesischen sehr ähnelt, ist die Wirtschaftspolitik des Landes doch eine andere: Man hat dort stringente Rahmenbedingungen geschaffen und ist offener für alle Arten ausländischer Investitionen“, meint Daniel Marek, Regionalmanager ASEAN des Ostasiatischen Vereins (OAV).
Thailand hat erfolgreich den Wandel vom Schwellen- zum Industrieland vollzogen und die Wirtschaft des Landes wächst schnell. Mit knapp 57 % hat der Dienstleistungssektor, voran die Tourismusindustrie, den größten Anteil am BIP. Das verarbeitende Gewerbe trägt laut GTAI rund 27 % zum BIP bei. Thailand verfügt über qualifizierte Zulieferer und produziert technologisch anspruchsvolle Güter insbesondere im Automotive-Sektor. Es ist auch ein wichtiges Ankerland der ASEAN-Region.
Deutsche Unternehmen, die neue Wachstumsmärkte erschließen wollen oder die weitere Diversifizierung ihrer Lieferketten planen, finden in ASEAN-Staaten interessante dynamische Märkte.
Die DEG vor Ort in Thailand und in der Greater-Mekong-Region
Das DEG-Büro in Bangkok ist auch für die Länder Bangladesch, Kambodscha, Laos, Myanmar sowie Vietnam zuständig. Von dem etablierten Netzwerk des DEG-Büros können insbesondere Investoren profitieren, die nicht aus der Region stammen: Unter anderem arbeitet das Büro mit Institutionen wie den deutschen Handelskammern vor Ort und den KfW-Büros in Kambodscha, Bangladesch, Nepal, Laos, Vietnam und Myanmar zusammen.
Die DEG vor Ort in Vietnam
Beim DEG-Partner HD Bank in Ho Chi Minh City kümmert sich seit Mai 2021 German Desk Manager Duy Tuan Tran um die Belange deutscher Unternehmen sowie ihrer lokalen Partner und berät mehrsprachig potenzielle Investoren. Neben Bank- und Finanzierungsprodukten bietet der German Desk den Kunden die Vernetzung mit der lokalen Business Community und der deutschen Auslandshandelskammer.
Der DEG-Satellit in Hanoi bietet seit 2019 langfristige Finanzierungen und Beratung für Unternehmen, Finanzinstitute, Fonds und Projektfinanzierer in Vietnam.
DEG-News
DEG-E-Paper: neue Ausgabe
Das DEG-E-Paper ist jetzt in neuer Ausgabe mit vielfältigen, multimedialen Informationen rund um die DEG erschienen. Aktuelle Einblicke in die Zusammenarbeit mit Unternehmen und Testimonials von DEG-Kunden bilden einen Schwerpunkt. Wie die neue DEG-Strategie mit Fokus auf noch mehr positive Entwicklungs- und Klimawirkungen aussieht und umgesetzt wird, ist ein weiteres Thema. In der Jubiläumsausgabe wird außerdem in einem Kapitel visualisiert, was sich seit Gründung der DEG vor 60 Jahren getan hat, in der Welt und in der DEG. Das DEG-E-Paper liegt auf Deutsch und Englisch vor.
DEG auf dem German-African Business Summit in Johannesburg
Beim German-African Business Summit 2022 kamen in Johannesburg im Dezember rund 500 Vertreterinnen und -vertreter aus Wirtschaft und Politik zusammen. Seit ihrer Gründung finanziert und berät die DEG private Unternehmen, die in Afrika tätig sind. Dazu zählen afrikanische, deutsche und internationale Unternehmen, die dort investieren. Beim German-African Business Summit 2022 war die DEG als Teil der KfW Bankengruppe zusammen mit der KfW IPEX Bank und der KfW Entwicklungsbank vor Ort präsent und stellte dort die gesamte Bandbreite der DEG-Leistungen vor.
Neuer German Desk Manager bei der Access Bank in Ghana
Seit Oktober steht ein neuer Ansprechpartner für deutsche Unternehmen in Ghana zur Verfügung: Max Heinrich wird Manager des German Desk – Financial Support and Solutions in Accra. Die German Desks der DEG, zusammen mit AHKs und lokalen Banken, bieten verschiedene Dienstleistungen für mittelständische deutsche Unternehmen und ihre Handelspartner. Das Leistungsspektrum reicht von der Kontoeinrichtung über Dienstleistungen für Handelsfinanzierungen und Transaction Banking bis zu Kreditlinien oder Investitionsfinanzierungen für lokale Unternehmen, die etwa deutsche Anlagen erwerben wollen.